Samstag, 22. September 2007

Namaste...

...was im indischen eine förmliche Begrüßung ist - eigentlich ist es sogar sehr formal und bedeutet in etwa "ich grüße das Göttliche in dir". Wichtiger ist in dieser Begrüßung aber nicht die verbale sondern die Gestik-Komponente: Die Hände aneinander gelegt vor die Brust und eine leicht Verbeugung.

Vor ein paar Tagen habe ich eine Email verschickt in der ich meine ersten Eindrücke von Indien und die zugehörigen Gedanken dargelegt habe. Im Prinzip ging es zunächst um die Sorge im April, dass Postkarten aus Shimla (Staat Himachal Pradesh) auf dem Weg verloren gehen. Was micht nicht wirklich wundern würde. Den auf den ersten Blick wundert man sich, dass in diesem Land überhaupt noch etwas funktioniert. Alles sieht so chaotisch und schlecht organisiert aus, ganz abgesehen von der Geruchsbelästigung durch überall herumliegende Abfälle,teilweise auch Exkremente und Städten, die kurz vorm Verkehrsinfakt zu stehen scheinen. Ein Freund von mir hat Indien einmal das 80%-Land genannt. Alles was hier getan wird, wird nur zu 80% erledigt. Danach wird einfach nicht weitergemacht. So nässt die Rückwand meines Zimmers durch, da auf der Rückseite der imprägnierende Anstrich fehlt...die Rückseite sieht ja keiner, da muss kein Anstrich drauf. So der erste Eindruck also von einem Land, indem mehr Menschen ohne Strom auskommen als insgesamt auf dem südamerikanischen Kontinent leben.
Doch nach einer Weile beginnst du zu lernen und zu verstehen. Du erkennst die Regelmäßigkeiten in diesem Chaos und gelangst zwangsläufig an den Punkt in dem deine Verwunderung in Bewunderung umschlägt. Diese Bewunderung zieht sich im folgende durch deinen ganzen Alltag, durch jede erdenklich Situation. Wie im Verkehr nur durch Nutzung der Hupe und das Gesetz des Stärkeren kommuniziert wird bei gleichzeitiger Ignoranz scheinbar aller Verkehrsregeln. Wie es fast jeder schafft, irgendwie eine Arbeit zu finden oder zu schaffen mit der er sich seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Oder wie die, die es nicht schaffen bei der Aussichtslosigkeit und Ungerechtigkeit die Ihnen zu geschehen scheint nicht völlig den Mut verlieren. Desweiteren wie sie neben ihrer zum Teil sehr harten Arbeiten immernoch Zeit finden ihrem Glauben und ihrer (eigentlich höchst diskriminierenden) Religion nachzukommen und sich ihrem aus dieser Religion und Gesellschaftsstruktur ergebenden Schicksal fügen.
Diese Bewunderung weicht an manchen Tagen wieder dem Anwidern. Dem Schmutz und Gestank, starken gesellschaftlichen Hierachien in der Gesellschaft und den Armen die dem Tod entgegen vegetieren in ihren Slums hinter dem neuesten Guccishop oder McDonalds. Die sich jeder Erniedrigung ergeben nur um ein paar Rupees zu verdienen. Ich habe in meinen Auslandsreisen noch nie ein Land erlebt, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich so offensichtlich ist und so groß erscheint...nicht einmal in den ländlichen Regionen Chinas. Im Prinzip stehen diese Gesellschaftsgruppen Indiens, die diese Kluft trennt, gemeinsam an der Ampel und es scheint, als wäre es beiden egal. Die Einen, weil der einzige Gedanke der sie treibt ist, den Tag zu überstehen und den Anderen weil sie es nicht interessiert...weil es das persönliche Schicksal eines jeden ist. In die Innenstadt zu fahren mit der Rikscha führt einen unweigerlich zu dem eine Schluss: Wenn dieses Land weiter dem Industriezeitalter in dieser Geschwindigkeit entgegen rast, kann das nicht gut ausgehen. Wir Europäersehen in Indien das Land der vielen bunten Kulturen, des Yogas und der Idylle des Himalaya im Norden oder der Western Gats im Süden verpackt in die uns vermittelten Vorstellungen durch den neuesten Bollywood Streifen im Privatfernsehen. Indien ist im großen und ganzen all dieses und gleichzeitig auch wieder nicht. Dieses Land steht meiner Meinung in Zukunft noch größeren Problemen gegenüber als China mit seinen Bauern momentan erwartet. Das ganze bedingt durch seine multikulturelle, multireligiöse und multiethnische Gesellschaft die China in dieser Form nicht aufweisen kann.

Olaf Ihlau spricht in seinem Buch "Weltmacht Indien" davon, dass Indien langfristig stabil ist im Gegensatz zu China. Er zieht den Vergleich indem er sagt, dass Indien nach aussen hin immer zu brodeln scheint während es im Inneren, an der wichtigen Basis von Demokratie ruhig ist während China nach aussen so ruhig zu scheinen wirkt während es im inneren kocht und brodelt wie in einem Druckkessel. Dem Vergleich kann ich mit meinen Erfahrungen und den abgeleiteten Erkenntnissen zustimmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass ein Volk von 800 Millionen Hindus in einer Demokratie lebt, deren zur Zeit drei wichtigsten politischen Führer ein Sikh, ein Muslim und eine Katholiken sind? Andererseits nährt sich aber meine Einschätzung der bevorstehenden Probleme Indiens vor allem aus dem einen Grundgedanken, dass Armut, Diskriminierung und Perspektivlosigkeit eine Kombination bilden, die auf Dauer auch eine noch so stabil wirkende Demokratie in die Knie zwingen kann, wenn sich selbige nicht aufrafft und diese Probleme schleunigst anpackt. Ein guter Anfang wäre die Bekämpfung der Korruption...und teilweise einfach ein bisschen mehr Menschlichkeit gegenüber denen, die es brauchen. So wie Stella Deetjen und ihrem Projekt "Back to Life e.V." oder unserer Hausmaid Lalita, die sich am Wochenende trotz der sonst so harten Arbeit an ihrem einzigen freien Tag damit beschäftigt, alte Leute in einer eigens gegründeten Organisation zu betreuen.

Lesetipps (nicht nur für Indien):

1) Olaf Ihlau - Weltmacht Indien
2) Howard Marks - Mr. Nice
3) P.J. O'Rourke - Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen

Gesundheitszustand: 1+ (Lalita und ich haben ein fantastisches Essen bereitet. Das beste bislang in Indien)

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